Zur Netzstabilisierung brauchen wir mehr Dynamik bei den Netzentgelten

Das folgende Statement unseres CEOs Dr. Frank Schlichting zur netzorientierten Steuerung von steuerbaren Verbrauchseinrichtungen (2. Konsultation bzgl. § 14a EnWG) wurde am 1. August 2023 im Tagesspiegel Background veröffentlicht.


Mit dem zweiten Eckpunktepapier zur netzorientierten Steuerung von steuerbaren Verbrauchseinrichtungen hat die Bundesnetzagentur einen richtigen Schritt gemacht: Erstens sollen Haushalte mit mehreren steuerbaren Verbrauchseinrichtungen, etwa Wärmepumpe oder Wallbox, nicht mehr schlechter gestellt werden. Und zweitens soll es ein Anreizsystem für Verbraucher geben, das Eingriffe des Netzbetreibers zur Ausnahme macht. Gerade beim Anreizsystem sollten wir uns beim diskutierten § 14a des Energiewirtschaftsgesetz aber noch mehr preisliche und auch zeitliche Dynamik zutrauen, um unsere Stromnetze proaktiv zu entlasten. Jährlich vordefinierte Zeitfenster und Preisstufen werden nicht für Versorgungssicherheit sorgen. 

Vergangene Woche ist die zweite Konsultation zur Novellierung von § 14a Energiewirtschaftsgesetz geendet, der die netzorientierte Steuerung von steuerbaren Verbrauchseinrichtungen regelt. Jetzt liegt es an der Bundesnetzagentur, die vielen Stellungnahmen von den interessierten Parteien zu sichten und die Interessen auszugleichen. Bei den Überarbeitungen nach der ersten Konsultationsrunde hat die Behörde bereits gezeigt, dass sie bereit dazu ist, dem Markt mit seinen wichtigen Impulsen zuzuhören. Das aktuelle Eckpunktepapier zur netzorientierten Steuerung von steuerbaren Verbrauchseinrichtungen ist demnach auch eine echte Verbesserung. 
 

Gleichgestellte Prosumer mit größerer Gestaltungsfreiheit 

Der erste Entwurf hat die Einzelsteuerung der Verbraucher noch bessergestellt als die Prosumersteuerung, also die Steuerung über den gesamten Netzanschluss. Dabei ist der koordinierte Netzbezug deutlich effizienter als die Betrachtung von einzelnen Verbrauchern. Mit dem zweiten Entwurf zieht die Bundesnetzagentur nun ausschließlich den netzwirksamen Leistungsbezug als Größe zur Rate. Der Haushalt mit mehreren steuerbaren Verbrauchseinrichtungen ist dadurch nicht mehr benachteiligt. Prosumern, also sich zumindest zum Teil selbst versorgenden Energienutzern, wird damit eine größere Gestaltungsfreiheit für den effizienten Einsatz der steuerbaren Verbraucher gewährt – was absolut sinnvoll ist. 
 

Preisanreize für Nutzer statt Abregeln von Verbrauchern 

In der ersten Fassung hat sich das Eckpunktepapier stark auf das Abregeln von steuerbaren Verbrauchseinrichtungen fokussiert, ohne Regelungen und Anreize für den netzdienlichen Verbrauch vorzuschlagen. Die Überarbeitung trägt der wirklich netzdienlichen Stromnutzung nun Rechnung und empfiehlt den Einstieg in ein Anreizsystem für Verbraucher. Ein solches Anreizsystem könnte Eingriffe des Netzbetreibers zur strengen Ausnahme machen. Incentiviert über Preissignale können Nutzer ihren Stromverbrauch variabel anpassen und somit Engpässe im Verteilnetz sowie Abregelungen der Verbraucher proaktiv verhindern. Das ist heute und in absehbarer Zukunft das richtige Mittel der Wahl für Stromnetze, denen Überlastung droht. 

Die Bundesnetzagentur schlägt nun feste Zeitfenster und Preisstufen für die Netzentgelte vor, die bereits im Vorjahr definiert wurden. Sowohl bei der Ausgestaltung der Zeiten und Preise als auch bei der Frequenz der Festlegung sehen wir noch dringenden Verbesserungsbedarf, um das Potenzial von steuerbaren Verbrauchseinrichtungen zur Netzstabilisierung voll auszuschöpfen. 
 

Verpflichtender Niedertarif als Incentivierung 

Für einen effektiven Anreiz für netzdienliches Verhalten brauchen variable Netzentgelte nicht nur ein Zeitfenster für einen Hochtarif, sondern auch ein signifikantes Zeitfenster für einen Niedertarif – gepaart mit einer deutlich reduzierten Preisstufe. Das aktuelle Eckpunktepapier sieht derzeit allerdings ausschließlich einen obligatorischen Hochtarif vor. 

Nur wenn das Netzentgelt in Zeiten hoher Netzbelastung erhöht sowie in Zeiten niedriger Netzbelastung reduziert ist, kann die anvisierte Netzdienlichkeit auch erreicht werden. Für die Vermeidung von Lastspitzen und Netzüberlastungen empfehlen wir einen Niedertarif in Höhe von maximal 50 Prozent des Standardtarifs. Befürchtete neue Lastspitzen können vermieden werden, indem das Zeitfenster für den Niedertarif verpflichtend über mehrere Stunden täglich andauert. Dadurch verteilen sich die Lasten in diesem Zeitfenster. 
 

Kurzfristig dynamische Netzentgelte zur zusätzlichen Netzentlastung 

Der vorliegende Entwurf sieht eine Festlegung der Zeitfenster und Preisstufen einmalig kalenderjährlich für das Folgejahr vor. Die daraus resultierende Planbarkeit für Netzbetreiber und Verbraucher hat zweifellos ihre Vorteile. Die Bundesnetzagentur verweist gleichzeitig auf Wünsche aus der ersten Konsultationsrunde, eine echte Dynamik einzuführen – zweifelt ihre Umsetzbarkeit aber an. Mit unserer technischen Expertise und praktischen Erfahrung als Anbieter von Energiemanagementsystemen können wir diese Zweifel ausräumen: Kurzfristig dynamische Netzentgelte sind schon heute umsetzbar. Ein Energiemanagementsystem kann entsprechende Tarife problemlos aufnehmen sowie mit dem Nutzer abrechnen. 

Für eine proaktive Netzentlastung regen wir daher ergänzend dynamische Anreize an, die die real zu erwartende Verbrauchs- und Netzauslastungssituation reflektieren. Dies ist nur möglich, wenn zumindest bei der Ausgestaltung der Preisstufen eine kurzfristige Dynamik eingebaut wird. Wir empfehlen daher, dem Netzbetreiber die Flexibilität zu geben, jeweils am Vortag zumindest an den Preisstufen Anpassungen in vorher definierten Rahmen vorzunehmen. Der Netzbetreiber erhält damit ein zusätzliches Steuerungselement zur Netzentlastung, auf das die Nutzer kurzfristig reagieren können. Dieses Potenzial sollten wir im Sinne des Stromnetzes und seiner Verlässlichkeit dringend nutzen. Im Ergebnis wird die garantierte langfristige Planbarkeit um eine kurzfristige Incentivierung ergänzt. 
 

Dynamik und Energiemanagement als Lebensversicherung fürs Stromnetz  

Mit den angeregten dynamischen Netzentgelten leitet die Bundesnetzagentur eine Zäsur für die Stromnetze ein. Wir sollten uns trauen, mit den steuerbaren Verbrauchseinrichtungen jetzt nicht nur einen zaghaften Schritt in Richtung Netzdienlichkeit zu gehen. Analog zu flexiblen Strompreisen brauchen wir auch dynamischere Netzentgelte. Gepaart mit smartem Energiemanagement könnte eine echte Dynamik zur Lebensversicherung fürs Stromnetz werden.